Wir befinden uns im Olympiadorf in Rom, in der Wohnung von Elisa Montessori an der Piazza Grecia. Sie war vor ein paar Jahren vom Zentrum hierher rausgezogen, in die Nähe des Auditoriums und des Museums für Moderne Kunst, Maxxi. Wir haben uns in Rom kennengelernt. Ich war nach 35 Jahren in Deutschland in mein Heimatland zurückgekehrt, um die Leitung der Casa di Goethe in der Via del Corso zu übernehmen. Es war Oktober 2015.
Du hast mich angerufen und mir dann gesagt, dass du normalerweise nie Leute anrufst, die du nicht kennst, nicht wahr?
Ja, das stimmt.
Und warum hast Du mich angerufen?
Weil ich sehr neugierig war. Ein gemeinsamer Freund von uns, Mario Fortunato, hatte mir von Dir ganz offen erzählt. Er hat Dir zu Recht große Schärfe und Intelligenz zugeschrieben. Da ahnte ich, dass Du ein interessanter Mensch bist.
Das war also Deine Intuition. Ich hoffe, ich habe sie nicht enttäuscht. Jedenfalls besuchte ich Dich sofort in Deinem Atelier in der Via della Lungara und sah dort Herbarien in durchsichtigen Plastiktüten, die am Geländer einer Galerie hingen, große Schwarz-Weiß-Arbeiten auf Papier, farbige Leinwände, aufgeklebte Pflanzen, Mosaiken, Vasen, Pantoffeln, Keramiksandalen, viele Papierrollen, Schubladen voller Zeichnungen, zwei Schränke voller Künstlerbücher, Bücher auf dem Tisch zum Blättern, während Du regungslos dasaßt und mich beobachtetest und wartetest. Hast Du eine andere Erinnerung an diese Begegnung? Man erinnert sich oft anders…
Ich erinnere mich, dass Du durch die Tür eingetreten bist, nicht durch die Hauptpforte, sondern durch die kleinere Seitentür des Ateliers, und dass Du nicht nur mit großem Interesse, sondern auch mit großer Neugierde das Atelier betrachtetest, das sich über einen engen Eingang zu einem großen Raum öffnet. Du standest in der Mitte meines Arbeitszimmers und beobachtetest wie ein Periskop alles, was um dich herum war, und zu meiner Überraschung hast Du mir nicht sofort Fragen gestellt. Du hast einfach nur geschaut. Das fand ich ungewöhnlich, aber sehr bezeichnend, denn mir wurde klar, dass Du die Dinge genau betrachtest, bevor Du sprichst.
Oh, das ist nett, danke. Tatsächlich ist Dein Atelier kein Ort, wo Du Dich selbst darstellst. Ich sehe es, wenn ich mit anderen Freunden komme. Du lädst Deine Besucher zu einer Entdeckungsreise ein. Und sie bewegen sich mit großer Freiheit, aber die, die eintreten haben auch Schwierigkeiten, Dich zu finden.
Ja, das ist wahr.
Warum ist das so?
Wenn ich das Atelier öffne, zeige ich etwas von mir, das nicht ich selbst bin. Ich zeige, was ich geschaffen habe, nicht was ich bin. Diese Trennung ist also eine Trennung, die manchmal spontan erfolgt wie bei Dir, bei anderen Personen, die mich beobachten, jedoch nicht. Ich bezeichne mich instinktiv als eine Flüchtende, ich fliehe immer vor der Realität. Für mich existiert die Realität, aber ich stelle eine gewisse Distanz zwischen mir und ihr her.
Bei Besuchen mit Freunden bei Dir ist es häufig so, als ob Du nicht teilnähmst und die Szene wie in einem Theater beobachtetest. Diejenigen, die eintreten, schauen, suchen, aber es gibt auch solche, die sich ein bisschen verwirrt sind. Jedoch ist es sehr schön – und ich möchte den Satz wiederholen – Dein Atelier zu betreten, es ist wirklich eine Entdeckungsreise. Jedenfalls sah ich an jenem Tag eine Assemblage, ein Objekt, das mich interessierte. Es war ein Blatt auf ein paar Büchern, und da ich den 200. Jahrestag der Publikation von Goethes berühmter Italienreise feiern wollte, habe ich Dich gebeten, an einer Ausstellung mit drei Künstlerinnen aus Rom teilzunehmen: Du, Michaela Langenstein und Claudia Peill. Ich dachte, es gäbe Berührungspunkte zwischen Goethes Denken und Werk und ihnen. Und Du, was machtest Du?
Ich war sehr überrascht, denn das war das Herzstück meiner Arbeit. Ich hatte bereits eine Ausstellung in Palermo zum Thema „Urpflanze“ gemacht, und irgendwie hast Du sofort den Weg nachvollzogen, der mich dorthin geführt hatte. Davor hatte ich in den 1970er Jahren die Arbeit über Daphne gemacht, in der ich das Pflanzliche mit dem Menschlichen im Mythos und in der Literatur verglich und kulturell als wichtig gedeutet präsentierte. Natürlich war mein Ausdrucksmittel das einer Malerin, kein literarisches. Diese Parallelen oder Vergleiche haben mich immer angezogen, und Du hast den Nagel auf den Kopf getroffen.

Die Ausstellung – das möchte ich hinzufügen – fand im Februar 2016 in der italienischen Botschaft in Berlin statt und wurde im Juni in der Casa di Goethe in Rom gezeigt. Dabei haben wir nicht nur das Blatt mit einer Reihe alter deutscher Wörterbücher ausgestellt, sondern auch viele Deiner Kunst- und Künstlerbücher und das Buch über die Urpflanze Goethes, die Pflanze, die er im Botanischen Garten von Palermo entdeckt zu haben glaubte. Mir klar, dass die Idee der Urpflanze für Dich wichtig ist. Goethe sagt, dass es ewige Formen gibt, die das Auge studieren kann und die dank der Urpflanze entdeckt werden, und dass es daher keinen Gegensatz zwischen Mensch und Natur und zwischen Natur und Kunst gibt. Ist das all Dein Werk?
Alle meine Arbeiten entstehen über einen Zeitraum, sie verändern sich also ständig. Aber in dem Wandel liegt ein Schwerpunkt auf der Wandlung der Form, und Goethe spricht oft von Metamorphose. Und die Metamorphose ist unserer menschlichen Natur inhärent, und die ganze Natur, die wir sehen, unterliegt einem stetigen Wandel. Vielleicht noch stärker als dieses Gefühl ist das Gefühl der Ähnlichkeit, denn Zeit und Raum um uns herum verändern sich ständig. Wir betrachten die Metamorphose selten als eine wesentliche Tatsache unseres Lebens. Aber sie ist es. Von dem Augenblick unserer Geburt bis zu unserem Verscheiden ist unser Körper und alles um uns herum ständig der Veränderung unterworfen.
Also Du suchst wie Goethe nach der Assoziation von Formen in der Natur. Jetzt wird mir auch bewusst, wie modern dieser Goethe ist. Er spricht nicht von dem Individualismus des romantischen Genies, er spricht von einer objektiven Ordnung im Kosmos zwischen Natur und Kunst. Er führt also einen absolut ökologischen Diskurs.
Nicht nur ökologisch. Er geht darüber hinaus, denn heute zeigen so viele Wissenschaftler, Physiker, Mathematiker in ihren Theorien etwas, was in Wirklichkeit von den griechischen Dichtern bis zu Goethe und so vielen anderen Geistesgrößen bereits begriffen wurde: dass man die Welt nicht geteilt sehen kann, sondern als eine einzige. Es gibt keine Welt der Pflanzen, Tiere oder der Gesteine: Jeder von uns ist in seiner eigenen Individualität ein Planet, der all diese Elemente in sich trägt. Und alle diese Elemente sind in uns enthalten, aber wir können sie sicher in der Welt erkennen.
Das ist in der Tat die Idee der „Urpflanze“, von der ich immer dachte, dass sie für zeitgenössische Künstler von großem Interesse sein muss. In der Sammlung des Museums Casa di Goethe gibt es jetzt Dein schönes Künstlerbuch über die Urpflanze.
Noch eine Sache zu Goethe. Er schreibt – weil Du nicht nur eine leidenschaftliche Leserin bist, sondern vor allem eine gute Beobachterin – “Sehen ist der kälteste Sinn. Erkenntnis ist sein Gefühl, aber es sind Geruch, Gehör und Gaumen und nicht das Sehen, die uns Freude machen.“
Einerseits ist das wahr, andererseits denke ich, dass das Sehen auch Freude bereiten kann, denn wir sind alles in einem. Wir fühlen von Beginn unseres Lebens an, bei der Geburt sind wir blind, weil die Augen des Säuglings noch nicht sehen können, aber die ersten Erkenntnisse über die Welt laufen über den Tastsinn. Daher ist der Tastsinn die Urform unserer Erkenntnis. Ich als Malerin weiß daher sehr wohl, wie wichtig meine Hände sind, weil sie alles tasten. Aber meine Hände stehen mit dem Sehen in Verbindung, so dass es sehr schwierig ist, unseren Körper in Partien zu unterteilen – wie es die Ärzte heute tun. Unser Körper lebt als Einheit. Leider haben wir dieses Bewusstsein nicht vollständig, denn der Körper scheint immer geteilt zu sein….
Aber können wir festhalten, dass Kunst für Dich Erkenntnis ist?
Nun, das ist sie für Jeden, aber sie ist nicht nur Kunst in diesem Sinne. Erkenntnis gibt es auch ohne Kunst. Ich kann mich mit einer Person unterhalten, die noch nie ein Museum gesehen hat, die aber über Erkenntnisfähigkeit verfügt ….
Ja, aber durch Deine Kunst erkennst Du; Kunst ist für Dich ein Instrument, um zu entdecken, zu erfahren…
Vielleicht ist das Gegenteil der Fall: vielleicht enthüllen die Dinge, die ich sehe, die Dinge selbst, denn die Dinge sprechen genauso wie die Pflanzen sprechen. Es ist ein gegenseitiges Erkennen, ich betrachte mich nie als Künstlerin, die kreiert. Ich sehe mich stets als eine Person, die in Beziehung tritt…
Wir kommen zu unserem zweiten Projekt. Eines Tages besuchte ich Dich zuhause und öffnete einen großen schwarzen Umschlag ohne Aufschrift, und du sagtest: Das ist das Notizbuch der nicht realisierten Werke (das für sich ein fantastisches Buch abgeben würde). Und es befand sich eine Arbeit darunter. Ich sagte: „Das machen wir jetzt zum 20-jährigen Jubiläum der Casa di Goethe.“ Und was haben wir gemacht?
Du hast in dem Büchlein einen Entwurf entdeckt. Ich habe schon oft geschrieben, dass meine Skizzen ohne Plan entstehen. Eigentlich ist dieser Satz zweideutig. Wenn ich sage, dass es kein Vorhaben gibt, bedeutet das, dass es ein verstecktes Projekt gibt, denn das Wort Projekt ist immer gegenwärtig. Wir haben uns diese Seite angeschaut und gesagt: “Das lässt sich realisieren”. Wir haben es leicht abgewandelt…
Die Seite zeigte eine typische Radierung einer italienischen Landschaft der Grand Tour, mit dem Tempel der Sibylle auf dem Felsen, Büschen, Wolken…, traditionell. Wir hatten die Zeichnung im Original und machten eine Fotokopie davon.
Wir schnitten sie in zwei Teile, und ich zeichnete in der Mitte direkt auf die Wand, sie sollte eigentlich ausradiert werden – und so wurde dann tatsächlich später auch gemacht. Es ist wie die Schweigepause, die in dem Moment wichtig ist, in der man sie einlegt. Man sieht die Zeichnung, sie wird realisiert, und dann vergeht sie in der Zeit, im Nichts.
Leonardo da Vinci sagte einmal einen sehr schönen Satz, dass die Leere etwas ganz anderes sei als das Nichts. Die Leere hat die Fülle als ihr Spiegelbild. Das Nichts ist nichts. In Wirklichkeit kann ich nicht am Nichts arbeiten, denn das Nichts bedeutet, dass ich nicht mehr da bin. Das Nichts wird da sein, wenn ich tot bin. Stattdessen arbeite ich immer an der Leere, die voll werden kann, und an der Fülle, die zur Leere werden kann. Sie haben das gleiche Gewicht, manchmal ist die Leere wichtiger als die Fülle. Die Skizze wird zu einem Bestandteil der leeren Wand.
Genau, wir haben die Zeichnung in zwei Teile geschnitten, in der Mitte blieb der freie Raum der Wand und du hast mit dem Bleistift die Landschaft mit einfachen Strichen ergänzt. Du hast diese Landschaft vollendet.
Richtig, eine imaginäre Landschaft…
Es war fast eine Art der Entweihung des Werkes aus unserer Sammlung, auf den je zwei Hälften die Zeichnung, in der Mitte diese diese Striche von mir, die zu Blättern und Steinen wurden… Viele sagten dann: “Warum es entfernen?” Wir haben ein Video gemacht, weil Du mit Wasser und einem Schwamm gekommen bist und es abgewaschen hast. Viele fragten: “Warum es auslöschen?” und Du hast Dich amüsiert!
Nun, nicht nur amüsiert. Ich glaube, dass gelöschte Dinge in Wirklichkeit nie gelöscht werden. Diejenigen, die sie gesehen haben, erinnern sich, und manchmal wird die Erinnerung geschärft, wenn man weiß, dass sie gelöscht werden sollen. Das Vergängliche ist ewig. Es ist ewig in der Erinnerung. Wir befinden uns heute in einem Zustand, in dem dieser Satz keinen Sinn mehr macht, alles wird flüssig, es ist, als ob die Erinnerung uns nicht mehr dient, es gibt etwas, das für uns aufzeichnet. Ich denke, dass diese Übung der Erinnerung sehr wichtig ist, sie gibt uns ein Gefühl für unsere eigene, individuelle und ganzheitliche Geschichte.
Ja, das ist ein großes Thema für uns heute.
Ja, das ist es.

Die dritte Arbeit entstand 2021, auf dem Höhepunkt der Pandemie. Es war der 300. Todestag von Piranesi; wir stellten die Stiche im Museum aus, und für jeden Raum (vier Räume) gab es neben den Capricci und römischen Ansichten das Werk eines zeitgenössischen Künstlers. Du hast ein wirklich modernes Werk geschaffen, schön und leicht, auch vom Material her ungewöhnlich. Was war Dein Beitrag?
Ich weiß, wie man graviert, weil ich einen Tiefdruck-Kurs belegt habe, aber in diesem Zusammenhang erschien es mir absurd und unklug – und zu vermessen – mit Piranesi zu konkurrieren, der ein Genie ist. Also habe ich ein sehr einfaches Material gewählt, ein Material, das im Vergleich zur Radierung nicht reproduzierbar ist, es ist zerbrechlich und nicht dauerhaft haltbar. Das Material war mein Ausgangspunkt.
Worum handelte es sich?
Es war ein ganz leichtes Kupferblech, das auch für Dekorationsgegenstände verwendet wird. Es genügt irgendein spitzer Gegenstand wie ein Nagel, da es weich ist und sich leicht gravieren lässt, wobei die Gravur immer ein seitenverkehrtes Abbild im Druck ergibt. Du weißt, dass ich immer spiegelbildlich arbeite. Ich habe diese kleinen Gravuren gemacht, die eigentlich fast Reliefs sind, weil ich auf der Rückseite arbeite und sie mir eine bescheidene, fast ehrfürchtige Hommage an eine Werktechnik erschien, die ich schon immer für eine der schönsten gehalten habe, nicht nur innerhalb des Kupferstichs, sondern der gesamten bekannten Grafik. Piranesi ist ein großes Genie, der ein Fenster zu unserer Gegenwartskunst geöffnet hat: Wenn man ein Werk von Vedova betrachtet, so ist das Piranesi.
Du hast Vedova erwähnt. Ich erinnere mich an ein Video von Dir, das ich in der Galerie Monitor gesehen habe. Vedova erzählt von Dir, indem er Dich mit dem Wind vergleicht. Diese Vorstellung ist sehr schön. Warum? Es hat mir sehr gefallen: man denkt an den Baumsaft, an Daphne, an die Flucht, aber das genügt mir nicht…
Du musst wissen, dass Emilio Vedova ein Zeichenkünstler war. Er kam vor vielen Jahren in mein Atelier, als ich noch jung war, und als er meine Arbeit sah, sagte er zu mir: Meiner Meinung nach haben alle Künstler ein bestimmtes Zeichen, es gibt Künstler des Feuers, Künstler des Schwarzen… Du hingegen stehst im Zeichen des Windes. Er dachte dabei auch an diese stete Metamorphose, denn der Wind bringt Bewegung. Es gibt zum Beispiel eine schöne Passage in Il Milione von Marco Polo, in der es heißt, dass man keine Linie findet, um ein Stück Land in der Wüste zu definieren. Die Wüstennomaden sehen die Punkte, wo sich die Winde kreuzen. Wir zum Beispiel können das nicht nachvollziehen, weil wir in einer Stadt leben, wo der Wind zu einem störenden Phänomen wird. Vielmehr sind es atmosphärische Signale, die Linien ziehen, die sich ständig verändern. Auch hier gibt es die Geschichte der Verwandlung, in der sich die Wolken kreuzen. Und wer bewegt sie? Der Wind.
Wunderbar. Hier bräuchten wir ein schönes Gedicht über den Wind. Wir werden eines finden.
Ja, wir werden eines finden.

Ich möchte mit einem meiner letzten Besuche schließen. Ich sehe in letzter Zeit schwarze Leinwände, auf denen Calla-Lilien auftauchen und bekannte Gegenstände wie Krüge, Schalen, Hausschlappen, Schuhe; aber diese Gegenstände sind nicht mehr in einem bestimmten Raum auf der Leinwand angeordnet, zum Beispiel in einer Landschaft, oder übereinander, wie Du es häufig gemacht hast. Sie faszinieren mich sehr, weil sie aus der Ferne auftauchen, sie tauchen aus der Dunkelheit auf, die sie jedoch zu überschatten droht, so als ob sie darin versinken würden. Es ist, als würden diese Objekte schweben, aus einem Loch auftauchen, aus einer aufgegangenen Strickmasche. Aber alles vibriert vor Licht. Du sagtest zu mir: “Diese Bilder gefallen nicht, sie sind hart und düster. Aber sie ziehen mich sehr an. Man ordnet Dir Phasen zu, die rationale Phase, die Farbexplosionsphase. Bist Du jetzt in einer Phase?
Ich glaube schon, ich bin in der Erinnerungsphase. Das Wiederauftauchen ist das, was uns beim Älterwerden – was ich durchaus nicht ablehne – erlaubt, uns an vieles zu erinnern. Die Erinnerungen holen einen immer ein, man erinnert sich auch an das, woran man sich nicht erinnern will. Erinnerungen tauchen auf wie aus einem Teich. Es ist üblich, sich im Traum an unzusammenhängende Dinge zu erinnern. Natürlich sucht man nach einer logischen Erklärung der Verbindung dieser Dinge. Ich habe diesen logischen Zugang nicht, aber ich habe das Gefühl, dass es komplexe Realitäten gibt, die zusammengehören und nicht gesondert betrachtet werden müssen. Man muss auch die Zufälligkeit der Erinnerung akzeptieren: Man erinnert sich, aber es ist nicht so, dass man sich erinnern will, die Erinnerungen überfallen einen, und sie überfallen einen vor allem im hohen Alter, wenn man weniger auf die Außenwelt achtet. Langsam schrumpft dein kleines Universum und du wirst ganz du selbst.
Und ist das das Schwarz?
Aber es ist kein abgrundtiefes Schwarz, es ist ein Schwarz, das Dinge sichtbar macht, die du kennst.
In der Tat leuchtet dieses Schwarz.
Es soll leuchten. Die Angst vor der Dunkelheit ist eine Angst, die man uns beigebracht hat. In Wirklichkeit kennen wir die Dunkelheit nicht. Ich weiß nicht, ob wir sie kennen, denn es gibt immer einen Punkt, an dem wir, wenn nicht ein Licht, so doch eine Oberfläche erkennen können, und in ihr gibt es ein Wissen, das uns das Licht zurückbringt. Wir können, wenn wir vorsichtig sind, in der Dunkelheit gehen, ohne zu fallen, und dieses Ungleichgewicht begleitet uns unser ganzes Leben lang. Wenn wir uns in einer Grenzsituation befinden, in der das Ungleichgewicht am stärksten hervortritt, öffnen wir uns dem Chaos, den Erinnerungen an ein viel stärkeres Innenleben.
Ich nenne diese Bilder Altarbilder, denn wie Altarbilder sind auch sie schmal und lang. Du besitzt viele Papierrollen. Manchmal, wenn ich darüber nachdenke, scheinen sie mir wie versteinerte aufgerollte Schriftrollen …
Schon möglich.
Aber haben diese Werke etwas Sakrales?
Das Heilige macht mir Angst, ich glaube nicht, dass ich einen Sinn für das Heilige habe, ich bin ein Mensch ohne Religion. Ich mag das Vertikale: Während ich früher viel mit Breitformat gearbeitet habe, mit dem Gegenstand des Horizonts, heute … Ich habe mir vorgenommen, sobald ich kann „Altarbilder“ aus Holzbrettern anzufertigen, aber es gibt keine sakrale Botschaft in dem Werk… nein. Ich möchte einfach etwas sehr Simples machen, indem ich diese Tafeln an die Wand stelle, und zwar so, dass ich sie in ihrer Anzahl und Reihenfolge variieren kann. Ich würde gerne etwas machen, das man jeden Tag ändern kann.
Das ist schön. Eine Zukunft voll mit Projekten! Ich danke Dir.

Übersetzt von Tanja Schultz

Aggiungi la tua firma e il codice fiscale 94097630274 nel riquadro SOSTEGNO DEGLI ENTI DEL TERZO SETTORE della tua dichiarazione dei redditi.
Grazie!